„Wir sind nicht allein.“ Das sind die Worte, die man nicht auf seiner Mission am Montagmorgen hören will. Schon gar nicht, wenn daraufhin Schüsse aus dem Nebenzimmer zu hören sind.
„Wow, no shit, Sherlock, da wäre ich jetzt nicht draufgekommen!“, kommentierte Cindy, während sie ihre Waffe entsicherte.
Henry rollte genervt die Augen und wollte gerade zum Konter ansetzen, da kamen bereits Schritte auf uns zu gesprintet. Geistesgegenwärtig zerrte ich die beiden hinter eine Ecke und hielt ihnen die Münder zu. Mein Gott, ich werde nicht genug bezahlt für diesen Job! Die Schritte näherten sich uns und nun entsicherte auch ich die Waffe, wer auch immer auf uns zukam, war nämlich bestimmt nicht hier, um nett mit uns zu plaudern. Na gut, zugegebenermaßen wäre ich auch wütend, wenn man mir Unterlagen aus einem Hochsicherheitssafe gestohlen hätte.
Ich hörte im Stockwerk über uns Getrampel, laute Männerstimmen hallten durch die Gänge und die Alarmsirenen schrillten los. Ein ganz normaler Start in die Woche also. Wir mussten hier ganz schnell verschwinden, so viel war klar. Ein Blick genügte zur Absprache, wir rannten alle den Gang entlang. Henry übernahm die Führung, da er sich den Lageplan des Gebäudes eingeprägt hatte.
Wir hatten höchstens noch 2:02 Minuten, bevor wir geschnappt werden würden, und dass auch nur, wenn wir verdammtes Glück hatten. Trotzdem rannten wir einfach weiter, durch Gänge und Hallen, über Korridore und Galerien, es blieb uns schließlich nichts anderes übrig. Plötzlich waren die Schritte direkt hinter uns, ich warf einen Blick über die Schulter, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie einer der Männer die Waffe hob. Mit aller Kraft riss ich Cindy aus der Schussbahn und schrie Henry ein atemloses „Runter!“ hinterher, doch es war zu spät für ihn. Mit einem erstickten Laut ging mein bester Freund zu Boden, Blut strömte über seinen Oberarm. Ganz langsam sickerte die Information in mein Bewusstsein, zu langsam. Die Welt um mich herum nahm ich kurz wie in Zeitlupe wahr. Dann wurde ich zurück in die Realität gerissen. Hinter mir knallte noch ein Schuss, als ich mich umdrehte sah ich, wie der Wachmann zu Boden ging. Cindy war eine begnadete Schützin und zur Abwechslung hatte sie dieses Mal die Nerven behalten. Wir rappelten uns auf und knieten uns neben Henry, der bereits ohnmächtig geworden war, Blut durchtränkte das Oberteil und sein Gesicht war aschfahl. Ich erspare euch mal die Details, wie wir ihn ins Auto gezerrt haben, denn schön war´s nicht. Also liebe Kinder, nicht nachmachen, gell? Im Auto angekommen, wollte Cindy unbedingt Antenne 1 hören. Ehrlich gesagt, finde ich es etwas unhöflich, schlechte Schlager zu hören, während der beste Freund im Sterben liegt. Aber ich ließ sie gewähren. Passenderweise lief gerade „Mein Herz schlägt schneller als deins“ und als ich auf den coolen Sender ENERGY schaltete, kam „Highway to Hell“. Wir einigten uns auf Beethovens 5. Sinfonie (Dödödödööööö), die alles noch dramatischer machte. Es stellte sich als überaus schwierig heraus, mit einer nun auch hysterisch kreischenden Cindy auf der Rückbank ins Krankenhaus zu fahren. Jedoch schaffte ich es, und fuhr nur zweimal um den Kreisverkehr, da ich mir nicht sicher war, welche Ausfahrt wir nehmen mussten. Fast wäre ich in die Fußgängerzone gefahren. Passiert. Endlich kamen wir in der Notaufnahme an, die Sanitäter waren etwas verwirrt, anscheinend bekamen sie angeschossene Jugendliche in einem gestohlenen Militärfahrzeug nicht so oft zu Gesicht. Komisch. Bei uns in der Zentrale war das gang und gäbe. Erst wollten sie das Ordnungsamt rufen (typisch Alman), doch ich überzeugte sie vom Gegenteil – natürlich nicht durch Bestechung. Sie karrten Henry auf einer Liege weg und Cindy und ich sprinteten selbstverständlich hinterher. Dann wurde uns allerdings mitgeteilt, dass wir den OP-Saal nicht betreten durften, überaus unhöflich.
Also hockten wir drei Stunden lang auf einer ungemütlichen Metallbank im Krankenhausflur. Cindy, auch professionelle Unterlippenzerkauerin, erdreistete sich einer Frage: „Hey, müssen wir die geklauten Akten nicht noch abliefern?“ „Das wäre überaus nützlich“, sagte Herr Friedrichs von irgendwo her (siehe Schulfilm, MPG-Homepage, über „Technik“, vertraut mir es lohnt sich). :))))))
Beim Gedanken, Henry ganz allein hier zu lassen, war mir nicht ganz wohl, doch Cindy hatte recht und Beruf ging nun mal vor Privatleben. Draußen wurde es bereits dunkel, als wir uns in den nächsten Bus setzten. Das gestohlene Militärfahrzeug nochmal zu benutzen wäre zu auffällig gewesen (Nun stand es äußerst unauffällig auf dem Parkplatz des Krankenhauses, getarnt mit drei Stöckchen, die wir auf die Windschutzscheibe gelegt hatten). Niemand achtete auf uns, obwohl Cindy sich alle Mühe gab zu wirken wie ein kopfloses Hühnchen. Ihre Augen huschten nervös hin und her und sie hibbelte mit ihren Beinen herum, was mich in den Wahnsinn trieb. Nach zwei Stationen stiegen wir aus und liefen in Richtung Fluss. Hier war der Treffpunkt vereinbart, unser Klient würde jeden Moment auftauchen. Die Sonne ging nun unter und wir beschlossen, uns auf eine Bank zu setzen und einfach abzuwarten.
„Der Typ da hinten sieht verdächtig aus“, meinte Cindy und zeigte auf den schwarz gekleideten Mann mit Sonnenbrille und Schal. „Wow, krasse Observation, Watson, der steht da seit fünf Minuten“, antwortete ich.
Nein, dieser Mann war nicht unser Klient, Leute die sich anziehen wie James-Bond-Bösewichte sind zu dämlich für echte Spionageprojekte. Da, jemand war mir ins Auge gestochen, eine Frau, die sich schon ungewöhnlich lange die Schuhe band und uns dabei gut im Blick hatte. Sie stand etwas versteckt im Schatten einiger Bäume. Unauffällig sah ich sie an und gab das vereinbarte Handzeichen. Sie erwiderte es, sichtlich erleichtert. Ich stieß Cindy an und wir schlenderten gemütlich zu ihr herüber.
Die Frau lächelte freundlich, bevor sie uns zwei Tücher vor Mund und Nase presste.
Die Welt um mich herum versank in Dunkelheit und das Letzte, was ich spürte, war, wie mir der Aktenkoffer aus der Hand gezogen wurde.
Lilly Kröninger, 10c (Schuljahr 2022/2023)