Sanftes Licht streichelte sein Gesicht, die Pflanzen auf der Fensterbank leuchteten in einem satten Grün und ein leichter Sommerwind wehte durch das geöffnete Fenster herein. Von draußen erklangen Gesprächsfetzen einiger Passanten, eine Touristin fragte nach dem Weg, ein Auto sprang an und entfernte sich nach einigen Sekunden. Aus der Bäckerei gegenüber drang der schwache Duft nach frisch gebackenem Brot und Kaffee. Eine sommerliche Trägheit hatte die ganze Stadt erfasst.
Auch der junge Musikstudent, der an seinem Fenster saß, spürte diese träge Stimmung. Aber er wollte sich beschäftigen, den ganzen Tag hatte er noch nichts wirklich Produktives getan. Darum saß er vor seinem Fenster an seinem Keyboard und versuchte einen neuen Song zu komponieren. Er begann mit einer einfachen Akkordfolge, suchte nach einer passenden Melodie, klimperte ein wenig auf der Tastatur herum, fand aber nichts, was ihn wirklich zufrieden stellte. Sein Kopf war zu müde und ihm wollte einfach nichts einfallen.

Von draußen ertönte ein Geräusch, ein lautes, metallisches Geklapper. Der junge Mann hielt inne, hob den Blick und sah aus dem Fenster. In der Seitengasse gegenüber lag ein umgekippter Mülleimer, dessen Inhalt teilweise über den Boden verteilt war. Die Straße war menschenleer, dennoch war es nicht schwer den Übeltäter zu erkennen. Dieser räkelte sich nur ein paar Schritte entfernt in der Sonne.
Das orangefarbene Fell der Katze glänzte in der Sonne. Genüsslich schleckte sie sich über die Vorderpfoten und legte ihren Kopf auf dem warmen Asphalt ab. Ein kleines Lächeln stahl sich unmerklich auf das Gesicht des jungen Mannes, während er so dasaß und die orangene Katze beobachtete. Das Tier erinnerte ihn an seinen alten Kater Toby, der ihn seine gesamte Kindheit über begleitet hatte. Sich von ihm zu trennen war ihm sehr schwergefallen, als er zum Studieren in die Großstadt gezogen war. Wahrscheinlich lag Toby in diesem Moment auf der Couch im holzvertäfelten Wohnzimmer seiner Eltern, auf einer sonnenbeschienenen Fensterbank oder hatte es sich in der Scheune neben den großen Heuballen gemütlich gemacht. Ein leichtes Ziehen machte sich in seiner Brust bemerkbar, wie sehr er die Farm seiner Eltern vermisste. An solchen trägen Tagen wünschte er oft, sich in das hohe, ungemähte Gras hinter der Scheune werfen zu können, um den Geräuschen der Grillen zu lauschen. Doch in der Großstadt gab es keine ungemähten Wiesen und keine zirpenden Grillen. Der Stadtpark bot nur einige in die Jahre gekommene Büsche und ein lichtes Wäldchen. Dem Lärm der Stadt konnte man dort nicht entfliehen. Er seufzte, legte seine Finger wieder auf die Klaviertastatur und versuchte sein Heimweh in einer Melodie auszudrücken. Süß und gleichzeitig etwas schwermütig glitten die Töne durch den Raum, wurden vom Sommerwind erfasst und hinaus auf die Straße getragen.

Die orangene Katze spitzte aufmerksam ihre Ohren und hob ihren kleinen Kopf leicht an. Sie schien Gefallen an der Musik zu finden, schnurrte wohlig und lauschte gebannt den Klängen des Keyboards.
Es war früher Abend und die Sonne hatte bereits begonnen der Dämmerung zu weichen, als der junge Mann seine kleine Wohnung verließ. Er wollte noch einige Einkäufe erledigen. Eine braune Stofftasche baumelte von seinem Arm, während er die Haustür hinter sich zu zog und den Gehweg betrat. Die drückende Mittagshitze hatte sich verflüchtigt und einer angenehmen, abendlichen Kühle Platz gemacht. Der Himmel hatte sich zu einem tiefen Orange verfärbt und tauchte die Stadt in goldenes Licht. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite lag noch immer die orangene Katze, der umgekippte Mülleimer direkt neben ihr. Ihr Fell leuchtete in der untergehenden Sonne in einem satten, flammenden Rotton. Sie hob den Kopf, als der junge Mann sich ihr näherte und schnupperte interessiert in seine Richtung. Er lächelte, ihm wurde warm ums Herz beim Anblick der kleinen Katze. Seine Schritte verlangsamten sich, er blieb schließlich stehen und kniete sich vorsichtig vor dem Tier hin. Behutsam streckte er die Hand aus und hielt sie der Katze entgegen. Diese zögerte einen Augenblick, wagte es dann aber doch, die fremde Hand zu beschnuppern.
Nach umfassender Inspektion drückte die Katze ihr Köpfchen in die Handfläche des jungen Mannes und schnurrte leise. Eine Freude, die er zuletzt in Kindestagen gespürt hatte, überkam ihn, während er dem Tier sanft die Ohren kraulte und über das Köpfchen strich. Das Fell der Katze war erstaunlich weich und ihre silbernen Schnurrhaare kitzelten an seiner Handfläche. Gerne hätte er noch ein Weilchen hier gesessen und die Katze gestreichelt, doch nach einem kurzen Blick auf seine Armbanduhr entschied er, sich auf zum Laden zu machen, bevor dieser für heute zumachte. Mit einem kleinen Stupser auf die Nase verabschiedete er sich von der Katze, die verdutzt ihr Köpfchen hob und ihm noch lange nachsah, während er die Straße entlanglief und sich von ihr entfernte.
Die Schlange im Supermarkt war nicht allzu lang. Schon nach kurzer Zeit stand der junge Student wieder vor den automatischen Schiebetüren, mit vollbepackter Tasche und einer Idee, die ihn nicht loslassen wollte. Als er den Nachhauseweg antrat, waren seine Schritte begleitet von dem Klappern mehrerer Dosen Katzenfutter in seiner Tasche. Die Sonne war nun fast gänzlich hinter den Hochhäusern versunken und lange Schatten bemalten den Gehweg. Einige Minuten später bog der junge Mann wieder in seine Straße ein und bemerkte zu seinem Glück die Katze, die sich seit seinem Aufbruch nicht von der Stelle gerührt hatte.
Immer noch lag sie neben dem umgekippten Mülleimer, mit halbgeschlossenen Augen vor sich hindösend. Als er sich ihr näherte, hob sie jedoch sofort ihren Kopf, sprang auf die Pfoten und strich ihm freudig um die Beine. Er grinste, sodass sich kleine Lachfältchen um seine Augen bildeten und kraulte ihr wieder die Ohren. „Na hast du mich vermisst?“ Zustimmendes Schnurren war die Antwort. „Schau mal, was ich dir mitgebracht hab!“ Vorsichtig zog er eine Dose Katzenfutter aus der Tasche und hielt sie dem Tier hin. Höchstinteressiert beschnupperte die Katze das Futter und schleckte über den Deckel. Sie stupste den jungen Mann an, als wolle sie sagen, „Mach doch auf, bitte!“. Er lachte und nahm die Katze kurzerhand auf den Arm. Erstaunlicherweise ließ sie es sich gefallen. Ob das am Katzenfutter oder an der tierlieben Ausstrahlung des Studenten lag, werden wir wohl nie erfahren. Mit der noch freien Hand schloss der junge Mann die Haustür auf. Dann begab er sich mit seinen neuen Kumpanen die Treppen hinauf in den dritten Stock und hinein in seine kleine Wohnung. Er setzte die Katze sanft auf dem Holzboden ab und hängte seine Jacke an die Garderobe. Das Tier begutachtete seine neue Umgebung einen Moment lang unsicher, begann dann aber sein neues Zuhause zu erkunden. Das unordentliche Bett, die etwas eingestaubte Fensterbank voller Zimmerpflanzen, der Schreibtisch mit wirr beschriebenen Notenpapieren und zu guter Letzt die kleine Küchenzeile.
„Na, was meinst du?“ Sie maunzte und strich ihm um die Beine. Dann stupste sie ihn an und lief zur Küche. „Erstmal was essen, was?“ Er lachte. Er nahm sich eine kleine Schüssel und füllte sie mit etwas Katzenfutter. Während seine neue Mitbewohnerin sich stärkte, setzte sich der Musikstudent wieder ans Keyboard und begann, die Melodie vom Nachmittag auszuarbeiten. Ganz anders als zuvor fiel es ihm jetzt ganz leicht, die Töne flossen fast von selbst, er brauchte nur die Finger zu bewegen. Langsam tapste die Katze auf ihren neuen Freund zu, fasziniert von den Klängen, die er dem Keyboard entlockte. Schnurrend strich sie um den Klavierhocker und sprang dem jungen Mann dann auf den Schoß. Dort machte sie es sich bequem, rollte sich zu einer Kugel zusammen und lauschte den schwebenden Melodien des Studenten.
Seit diesem trägen Sommertag saßen die beiden oft gemeinsam am Keyboard, genossen die Musik oder schauten auf die Straße draußen. In wolkenklaren Nächten beobachteten sie zusammen den Sternenhimmel und bei Gewitterstürmen kuschelten sie sich in das flauschige Bett, Seite an Seite.
Lilly Kröninger, J2 (Schuljahr 2024/2025)