„He, da seid ihr ja endlich!“, rief uns sofort eine bekannte Stimme entgegen. Inzwischen war es kurz nach 3 Uhr und wir hatten uns zu viert auf den Weg zu unserem Wobaha gemacht. Das Wobaha – lang ausgesprochen Wohnbaumhaus – war ein großes Baumhaus, das wir vor einigen Jahren zusammen mit der Hilfe von ein paar älteren Schülern am Rande des Waldes von Schornstadt gebaut hatten. Die aus Holz zusammen genagelte Plattform erstreckte sich in ca. drei Metern Höhe zwischen zwei großen Baumkronen, in deren Mitte ein kleines himmelblau angestrichenes Holzhaus mit einer Tür, durch die man nach außen gelangte, und einem großen Fenster stand. In dessen Inneres hätte locker ein Auto gepasst. Von unten war es unmöglich, in das Wobaha hineinzugucken. Neben der Tür – und somit auch unter dem Fenster – stand eine alte, lila angestrichene Bank. Am Rande des Plateaus war ringsum, eingeschlossen der Baumkronen, ein kleines Holzgeländer angebracht, von dem schon leicht die Farbe abblätterte. So konnte man einmal um das Haus herumlaufen.
Als wir unsere Fahrräder an einen der großen Bäume lehnten, öffnete sich eine Luke im Boden des Wobahas und kurz darauf wurde eine Strickleiter zu uns hinuntergeworfen. Nacheinander krabbelten wir, wie schon unzählige Male zuvor, die Leiter hinauf. Das Loch war außerhalb des Hauses angebracht und so rappelten wir uns, oben angekommen, auf und betraten das Haus durch die kleine, verschließbare Tür. Von innen wurde das Wobaha mit verschiedenen Wand-Dekorationen geschmückt. Das richtig gemütliche Flair verliehen aber eher die Sofas und Sessel, die im ganzen Raum in einem Kreis um einen kleinen Tisch aufgestellt waren. Damals waren wir extra zu mehreren Schrottplätzen in der Umgebung gefahren, um das Wobaha so gemütlich wie möglich zu machen und dennoch Geld zu sparen. Zusätzlich hingen noch zwei Hängematten, von einer Wand zur anderen gespannt, und ein Hängestuhl im Raum und unter dem Fenster neben dem Eingang stand eine Mischung aus Kommode und Regal auf dem Boden. Außerdem war ein Großteil des Bodens mit einem großen, bunt gemusterten Teppich bedeckt. Während Myriam und Renee sich auf einem schon halbbesetzen Sofa von Diana und Martin niederließen, suchten Tami und ich uns auf dem Boden einen Platz und lehnten uns schließlich an die Wand hinter uns. So wie´s aussah, waren wir die Letzten gewesen, auf die sie noch gewartet hatten, denn jetzt ergriff Timo das Wort: „Hi Leute, cool, dass ihr alle da seid. Na ja, zumindest fast alle. Ich muss nur Miriam und Matthias für heute entschuldigen. Die zwei haben einen Zahnarzttermin und können nicht kommen. Trotzdem müssen wir heute einiges besprechen. Einmal wegen Basti, ob wir ihn nächstes Mal hierher mitbringen sollen oder nicht, dann die Sache mit Tamara und wenn wir noch Zeit haben, können wir uns noch über das Schullandheim unterhalten.“
Die anderen nickten.
In den nächsten anderthalb Stunden stimmten wir ab, ob wir Basti nächstes Mal mit herbrachten (einstimmig beschlossen wir: ja), und diskutierten, was wir nun wegen dem Diebstahl unternehmen. Mehrere Vorschläge wurden gebracht, wie zum Beispiel die Eltern oder die Polizei zu verständigen, aber bald kamen wir zum Schluss, dass uns nicht mehr übrigblieb, als einfach bis nach dem bevorstehenden Schullandheim abzuwarten und nichts zu tun. Niedergeschlagen ließen wir die Köpfe hängen. Das konnte doch nicht wahr sein! Gab es denn gar nichts, was wir tun konnten? Aber erstens hatten wir keine wirklichen Beweise, sodass uns wahrscheinlich kein Elternteil glauben würde, geschweige denn die Polizei. Und zweitens müsste – wenn dann schon – Frau Brauchler diese rufen. Plötzlich hatte ich noch eine Idee: „Wie wäre es wenn ein Teil von uns nochmal zu Frau Brauchler fährt und sich mit ihr unterhält? Tami hat das zwar gestern schon gemacht, aber vielleicht hat sie da irgendetwas aus Aufregung vergessen zu erwähnen.“
Christoph nickte: „Stimmt. Das wäre wenigstens etwas, das wir tun könnten.“
„Aber am bestens gehen nicht alle“, wandte Claudia schnell ein. „Die Arme bekommt sonst noch einen Herzinfarkt, wenn da plötzlich so viele ihre Bibliothek stürmen.“
Also beschlossen wir schnell, dass Tami und ich sowie Jan, Martin und Timo noch einmal zu Frau Brauchler gehen würden, sobald wir hier fertig waren.
„So, dass hätten wir jetzt also erstmal abgeschlossen. Nächste Woche gehen wir ja auf Klassenfahrt“, fing Krolla das letzte Thema für heute an und man sah deutlich, dass ein vorfreudiges Lächeln über jeden Mund im Raum huschte. „Sollen wir vielleicht mal grob einteilen, wer welche Süßigkeiten und Spiele mitbringt? Nicht, dass wir am Schluss nur mit Gummibärchen und zehnmal Uno Uno dasitzen und nichts anderes dabeihaben.“
Wir nickten. Myriam ging zu der alten Kommode, öffnete eine Schublade, holte einen dicken, zerfledderten Block und einen Bleistift heraus und kniete sich vor den kleinen Tisch mitten im Raum auf den mit Teppich bedeckten Boden. „Ich mache mal eine Liste, ja?“, fragte sie uns, obwohl es eher eine Feststellung war, da sie schon angefangen hatte, auf das linierte Blatt zu schreiben.
Wir nickten abermals. Nach einer weiteren Dreiviertelstunde waren wir nun endlich fertig und mussten uns mit Sicherheit keine Gedanken mehr darüber machen, dass uns langweilig wurde oder wir verhungerten.
„Oh, schon so spät? Ich muss los!“, rief plötzlich Renee. Sie stand auf, verabschiedete sich und verließ das Wobaha.
Mein Blick streifte über meine eigene Uhr und erstaunt stellte ich fest, dass es schon kurz vor halb sechs war. Nach und nach verließen auch die anderen das Baumhaus und fuhren mit ihren Rädern oder liefen nach Hause.
Zum Schluss waren nur noch wie vorhergesehen Tami, Martin, Timo, Jan und ich da. „Na dann los! Auf zu Frau Brauchler!“, rief Martin, als auch wir startklar waren. Da sowohl Mart in, als auch Jan zu Fuß gekommen waren, saß nun der eine bei Timo und der andere bei Tami auf dem Gepäckträger.
Zehn Minuten später standen wir, bewaffnet mit weiteren Fragen, vor dem Eingang der uralten Bibliothek von Frau Brauchler. Doch als Jan die Klinke runterdrücken wollte, stellten wir fest, dass sie wohl schon geschlossen hatte. Na toll!
FORTSETZUNG FOLGT
Hannah Bayer, 7d (Schuljahr 2022/2023)