Schwer atmend stehe ich vor der Tür meines Klassenzimmers im dritten Stock. Ich schiele erneut auf meine Armbanduhr. Mittlerweile sind es zehn Minuten und der Sekundenzeiger dreht sich unaufhörlich weiter.

Schei*…benkleister! Ich hasse erste Schultage! Gut, es ist nicht der „Hilfe, neue Stadt, neue Schule und neue Klassenkameraden“-Erste-Schultag, sondern eher nur der erste Tag im Jahr. Trotzdem ist er schrecklich!
Ich atme noch einmal tief durch und betrete mit einem Kloß im Hals das Klassenzimmer. Oh, nee oder? Ein älterer Herr mit neongrün-pink kariertem Hemd sieht mir skeptisch entgegen. „Du musst Luna sein, oder?“, stellt er spitz fest. Ich nicke nur, denn ich bekomme vor Nervosität immer noch kaum ein Wort heraus. Vergiss das, ich bin stumm wie ein Fisch. Ich versuche die Tür möglichst leise hinter mir zu schließen und entdecke dabei Mia, meine beste Freundin, Grimassen schneidend im hinteren Teil des Klassenzimmers. Der Türgriff entgleitet mir und Rums fällt die schwere Brandschutztür ins Schloss.

Erneut ist mir die ungeteilte Aufmerksamkeit von 32 Schülern, eines leicht verärgerten Lehrers, und, oh, eines verunsicherten Referendars neben Mia sicher. Wäre ich nicht vorhin schon am liebsten im Boden versunken, dann jetzt.
Der Kloß in meinem Hals wird schmerzhaft. Ich halte nach einem Platz im Klassenzimmer Ausschau, doch entdecke keinen freien.
Mein neuer Lehrer – laut der Tafel Herr Wilg… irgendwas (Lehrerschrift) – schaut jetzt mittlerweile nicht mehr nur leicht verärgert und deutet mit einer auffordernden Geste auf einen Platz in der ersten Reihe, der kurz davor von ebendiesem noch verdeckt gewesen ist. Neeein, nicht auch noch den neuen Jungen als Sitznachbar!
Soviel zum ersten Eindruck.
Ich laufe mit roten Wangen zu meinem zugewiesenen Platz und setze mich unelegant, da ich über die Riemen meines Schulranzens stolpere. Einatmen, ausatmen.
Hinter mir erklingt leises Gelächter, welches aber schnell abklingt, denn der Lehrer Irgendwas fährt mit dem Unterricht fort.
Ich schäle mich aus meiner laut knisternden Jacke und hänge sie über die harte, ungemütliche Stuhllehne.
Schnell mache ich mich daran, meine Unterrichtsmaterialien auszupacken, und öffne mein Mäppchen, um meinen Füller herauszukramen. Ich ziehe es zu mir, um besser heranzukommen, als sich blaue Tinte auf meinen Fingern verteilt und in mein Mäppchen tropft.

Für einen Sekundenbruchteil schließe ich die Augen und mache mich dann zurück auf den Weg quer durch das Klassenzimmer zum Waschbecken.
Dort angekommen, fange ich an, meinen Füller auseinanderzupflücken, und werfe einen Blick über die Schulter. Der Lehrer hat beschlossen, mich zu ignorieren, und fährt ungerührt mit dem Unterricht fort. 33 Augenpaare verfolgen mein Tun, denn auch den Referendar scheint es zu erheitern, mich zu beobachten.
Mia schaut mitleidig, die Klasse tuschelt und muss sich beherrschen, um nicht laut loszulachen. Einzig mein Sitznachbar des nächsten Halbjahres verkneift sich das Lachen erfolgreich, auch wenn man in einen Augen sieht, dass er es auch witzig findet.
Ich gebe zu, ich würde mich auch auslachen und denken, wie man so ungeschickt sein kann. Warum heute?! Ich bin sonst auch nicht so ungeschickt. Wenigstens habe ich meinen Ordner mit den Hausaufgaben dabei, welcher aber auch einige Tintenflecken abbekommen hat. Schließlich ist alles sauber und ich setze mich wieder und versuche dem Unterricht zu folgen. Bald werden Arbeitsblätter zur Abfrage des Gelernten herumgegeben und natürlich können diese auch nicht einfach so an mir vorbeiziehen. Als Timo, der hinter mir sitzt – wir mögen uns nicht besonders –, meinen Namen flüstert, um mir die Arbeitsblätter rüberzugeben, drehe ich mich um.
Ich berührte die Blätter schon mit den Fingerspitzen, da lässt dieser elende … –
aufgrund unserer teilweise jungen Leserschaft musste der folgende, dreiseitige Teil leider zur nötigen Jugendfreigabe gekürzt werden –
die Arbeitsblätter breit grinsend zu Boden segeln. Mit einem bösen Blick in seine Richtung fange ich an, die Blätter zusammenzusammeln.

Der Junge, der neben mir sitzt, bemerkt mein Dilemma und hilft mir genauso wie Kristin, die das Ganze mitbekommen hat und rechts von mir sitzt. Der Rest der Stunde? Weitestgehend ereignislos! Puh, also erste Eindrücke habe ich drauf. Kommt sonst noch was auf mich zu?
Dann wäre ich gerne vorgewarnt!
Selina Kopp, 10a (Schuljahr 2022/2023)