Erst nach und nach wurde unsere Klasse ruhiger. Als dann nur noch leise geflüstert wurde, fing ich an zu erzählen. Nach kurzer Zeit wurden dann auch die wenigen noch laufenden Nebengespräche unterbrochen und alle lauschten gespannt, was wir mitzuteilen hatten.
Mittendrin sagte Timo plötzlich: „Wow! Könnt ihr das mal aufschreiben? Das wäre die perfekte Geschichte für ein Buch!“ Ein leises Stöhnen ging durch die Klasse. Manchmal könnte die Vorliebe zu seinen Büchern und Geschichten echt ein bisschen begrenzter sein.
Als ich an der Stelle angekommen war, an der Tami entdeckt und gefangen wurde, sahen fast alle sie mitleidig oder besorgt an. Als sie das merkte, lief sie erstmal tomatenrot an. Und sobald alle erfahren hatten, dass Jan Tami befreit hatte, und ihm anerkennend zulächelten, wurde dieser noch eine Spur roter als sie.
Mit einem mitleidigen Grinsen blickte ich zu ihnen hinüber. Doch zum großen Erstaunen aller war es ausgerechnet unser Lehrer, der komplett entspannt wirkte. Er sah sogar eher skeptisch als besorgt aus. Als ich mit meinem Bericht fertig war und es wieder lauter in der Klasse wurde, stand er mit einem nachdenklichem Gesicht von seinem Stuhl auf und stellte sich an die Tafel.
„So, das war ja ganz schön krass, was ihr da erzählt habt“, begann er mit hochgezogenen Augenbrauen zu sagen.
„Krass und gefährlich“, kam von irgendwo eine Stimme.
Herr Blumhardt ignorierte sie. Schnell fuhr er fort: „Ein bisschen zu krass, finde ich. Ihr wollt mir nicht ernsthaft verkaufen, dass Schornstadt etwas so Wertvolles hat, dass zwei Gangster es klauen und eine harmlose Schülerin in eine Mülltonne stecken? Jetzt fehlt nur noch, dass ihr behauptet, die Personen würden auf unsere Schule gehen.“
Fassungslos antwortete ich: „Erstens waren es keine richtigen Gangster, sondern einfach schwarzmaskierte Personen, zweitens war es keine Mülltonne, sondern ein Container, und drittens kann es sogar sehr gut sein, dass diese zwei Personen auf unsere Schule gehen, schließlich haben sie ja gesagt, dass sie noch nicht so alt sind.“
Herr Blumhardt wirkte immer noch nicht überzeugt.
Ich stöhnte innerlich. Warum waren Erwachsene bloß immer so skeptisch?
„Angenommen ihr hättet recht“, übernahm er wieder das Wort, „hättet ihr den irgendwelche Beweise?“
Ich öffnete den Mund um etwas zu erwidern, aber Tami kam mir schon zuvor: „Sie können ja Frau Brauchler fragen. Die wurde schließlich beklaut.“
„Lina? Die könntet ihr auch so lange bequatscht haben, bis sie euch eure Geschichte geglaubt hat. Die Gute ist ja auch nicht mehr die Jüngste“, erwiderte er.
Das konnte ja echt nicht wahr sein! „Aber …“
Es läutete zur Pause. „Also, vergesst bitte nicht euren Eltern das mit der Klassenfahrt zu erzählen. Morgen bekommt ihr eine Liste mit den Sachen, die ihr einpacken müsst. Es tut mir leid, dass diese Info erst so kurzfristig kam, aber das war eine spontane Idee von unserem Direktor Dr. Feuerstein. Eure Klassenfahrt musste ja letztes Jahr leider kurzfristig wegen Lehrermangel und Krankheitsfällen ausfallen und da dachten wir, das könnten wir dieses Jahr nachholen. Ich hoffe, ihr findet das nicht all zu schlimm. Ach so, und wegen eurer Geschichte, Franzi, Jan und Tamara, die solltet ihr vielleicht wirklich aufschreiben. Das gäbe bestimmt ein gutes Buch. Wenn ihr noch ein bisschen mehr Fantasie reinsteckt, könntet ihr bestimmt auch noch ein tolles Happy End dazu erfinden. Also, wir sehen uns dann morgen wieder“, beendete er die Stunde und ging aus dem Klassenzimmer.
Na toll, das war’s dann wohl mit Hilfe und Ratschlägen der Erwachsenen.
„Schweinerei!“, protestierte Claudia. „Also ich glaube euch.“
„Ich auch“, fügte Matthias hinzu und Miriam ergänzte ebenfalls ein: „Ich auch“.
Diana war fassungslos: „Das kann der doch nicht ernst meinen.“
„Oh doch, kann er“, widersprach ihr Christoph.
Ich stand auf und ging zu Tamis Platz hinüber. Mit einem Ruck setzte ich mich zu ihr auf ihren Tisch und legte ihr meinen Arm um die Schulter. „Wir kriegen diese Schweine, mit oder ohne Hilfe der Erwachsenen. Und wenn wir alle zusammenhalten, haben wir vielleicht sogar eine Chance.“
Und dann hielten wir mal wieder eine Krisensitzung ab, so wie wir es schon oft gemacht hatten. Doch dieses Mal war es wichtiger als jemals zu vor. Und das wussten wir alle.
Hannah Bayer, 7d (Schuljahr 2022/2023)